Wenn im Dezember 2025 die ersten Züge aus dem Portal in Mitterpichling rollen, wird ganz Österreich die Fertigstellung eines der spektakulärsten Bahnprojekte feiern: die Koralmbahn. Zunächst umstrittene Idee, dann gigantische Baustelle und nun Hoffnungsträger für den Süden Österreichs.
Hier die unberührt wirkende Natur der erneuerten Lavantauen, dort ausgedehnte Felder soweit das Auge reicht. Dass in der Nachbarschaft Tag und Nacht an einem Jahrhundertprojekt gearbeitet werden würde, schien lange Zeit nicht nur angesichts der Idylle unglaublich.
Und doch ist es so. Wo sich bislang Fuchs und Hase gute Nacht sagten, entstand ein Bauvorhaben, das herkömmliche Dimensionen sprengt. Der Koralmtunnel.
33 Kilometer lang und 10 Meter im Durchmesser lauten die Maße der beiden Röhren, die unter dem Bergmassiv freigelegt wurden. Im 500 m-Abstand wurden horizontal verlaufende Gänge, sogenannte Querschläge errichtet und die 900 Meter lange Nothaltestelle wäre anderswo ein eigenes Tunnelprojekt. Allein die Bohrmaschinen brachen alle Rekorde. Mit 10.000 PS schraubten sich die riesigen Bohrköpfe in die Felsen. Zentimeter um Zentimeter drangen sie ins Gestein. Rund um die Uhr. Jahrelang.
Für die Kumpel wurden die 2.000 Tonnen schweren und 200 Meter langen Giganten zu vertrauten Begleitern: „Kora“ nannten sie die Arbeiter aus Kärnten, in der Steiermark hießen die Bohrmaschinen „Mauli 1“ und „Mauli 2“. Zusammen haben die drei Geräte 45.480 Meter innerhalb von sieben Jahren zurückgelegt und dabei sechs Millionen Kubikmeter Gestein aus dem Berg gekratzt. Genug Material, um zwei Cheopspyramiden aufzuschichten, wie die ÖBB errechnete. Rund vier Millionen Kubikmeter des natürlichen Gesteins wurden als Schüttmaterial, Filterkies oder Betonzusatz wiederverwertet.
Im Inneren des Tunnels verbauten die Mineurinnen und Mineure 50.000 sogenannte Tübbinge, also Betonringe mit einem Gewicht von jeweils 47 Tonnen. Dazu kamen ebenso unvorstellbare Mengen an Gleistrageplatten, Schienensträngen, elektrischen Leitungen, Lärmschutzwänden etc. 2022 war der Rohbau fertig, im Frühjahr 2023 lagen die Schienen an Ort und Stelle und Ende 2025 rollte der erste offzielle Zug durch den Koralmtunnel, das Herzstück der neuen Bahnverbindung zwischen Graz und Klagenfurt.
Wer in die Baugeschichte des gigantischen Projekts eintauchen will, erhält in der ebenso aufwendig wie verständlich gestalteten Schau in der ÖBB-Infobox in Mitterpichling eine Vorstellung von den Aufgaben, die zu stemmen waren. Man erfährt, wie schwierig der
Weg durch harte (Gneis) und weichere (Glimmerschiefer) Gesteinsschichten war, welche neu entwickelten Methoden die Tunnelbauer verwendeten, welche technischen Innovationen eine sichere Fahrt mit 250 km/h garantieren und wo weitere Tunnel, Brücken und Bahnhöfe auf der 130 km langen Strecke gebaut wurden.
Fossilien, die in dem 300 Millionen alten Massiv gefunden wurden, und Fauna und Flora der neu verlegten Lavant sind ebenfalls dokumentiert. Und von der Terrasse der „Infowelt Koralm“ hat man eine schöne Aussicht auf das Tunnelportal, die neue Bahntrasse und das Untere Lavanttal.
Die wahre Dimension des gigantischen Bauprojekts können vermutlich aber nur diejenigen abschätzen, die in den vergangenen 20 Jahren in den unterschiedlichsten Funktionen mitgewirkt haben. Projektverantwortliche, die beteiligten Baufirmen, Mineurinnen und Mineure, die regelmäßig unter Tag waren. Eine Vorahnung von dem enormen Druck und der Erleichterung war bereits beim finalen Durchschlag am 17. Juni 2020 zu erleben, als „Koras“ dröhnender Bohrkopf die letzten Zentimeter des Gesteins zertrümmerte, das Kärnten von der Steiermark trennte. Die Staubwolke an der Bohrbrust hatte sich schon längst gelegt, da jubelten die Teams rund um Projektleiter Klaus Schneider noch immer. Und ÖBB-Vorstandsvorsitzender Andreas Matthä nannte den Tunnelbau „das letzte Abenteuer in Europa. Denn du kommst an einen Ort, wo noch nie ein Mensch war.“
Künftig sollen möglichst viele Menschen auf der neuen Hochleistungsstrecke unterwegs sein. Hohe Energiekosten sprechen für den Umstieg auf die Schiene, die spürbaren Folgen des Klimawandels ebenso. Und nicht zuletzt die deutlich verkürzten Fahrzeiten. Geht alles nach Plan, ist man künftig in 45 Minuten mit dem Railjet von Graz in Klagenfurt. Wer mit dem Auto fährt, braucht doppelt so lang. Die Strecke Klagenfurt-St. Paul verkürzt sich auf 22 Minuten und in die steirische Landeshauptstadt braucht der Zug von St. Paul 36 Minuten. Der neue Bahnhof Lavanttal unweit des Tunnelportals soll auch als Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Norden und Süden des Tales fungieren. Mit Park & Ride, benutzerfreundlich, barrierefrei und umweltfreundlich. Man darf gespannt sein.
Ebenso gespannt wartet die Umgebung auf den Moment, in dem der Schleier gelüftet wird, der zurzeit noch über dem interkommunalen Technologiepark liegt. Die Fakten, die bisher bekannt sind: Die neun Gemeinden haben ihre Zustimmung zu dem gemeinsamen Projekt gegeben und es gibt Überlegungen, Grundstücke entlang der Bahntrasse anzukaufen. Über den Rest wird diskutiert und gerätselt.1
Vielleicht bringt ja die Ausstellung im Kärntner Landesmuseum etwas Licht in die Angelegenheit, in der Entwürfe von Studierenden der FH Joanneum in Graz und der FH Salzburg gezeigt werden. Im Auftrag der Kärntner Betriebsansiedlungs- und Beteiligungsgesellschaft (BABEG) beschäftigten sie sich nämlich mit all jenen Fragen, die für die Gestaltung und die Zukunft der Umgebung des neuen Verkehrsknotenpunktes relevant sind. Wie könnte der „Campus 2050“ aussehen? Welche Infrastruktur sollte hier entstehen? Welche Rolle würde der Handel spielen? Welche Dienstleistungsbetriebe würden hier gebraucht und wirtschaftlichen Erfolg haben? Wie soll man sich das Wohnen, das Arbeiten und die Freizeit vorstellen? Was können in diesem Zusammenhang intelligente Gebäude leisten und wie werden Mensch und Technik interagieren?
Wie auch immer die Entwürfe aussehen würden, die Kriterien der Nachhaltigkeit – Ökologie, Wirtschaft und Soziales – sollten sie alle erfüllen. Im Übrigen hatten die angehenden Architektinnen und Stadtplaner, die bei den Recherchen von ihren Betreuerinnen und Betreuern sowie der Marktgemeinde St. Paul und dem Regionalmanagement Lavanttal unterstützt wurden, viel Gestaltungsspielraum.
Und den nutzten sie.
„Entstanden sind acht höchst unterschiedliche städtebaulich-visionäre Entwürfe, die als Studie für eine mögliche Weiterentwicklung des Campus in St. Paul im Lavanttal dienen sollen“, liest man im Resümee. Manche Ideen muten utopisch an, aber wer darf Utopien entwerfen, wenn nicht junge Menschen, die die Fachleute von morgen sein werden? Schließlich werden es mehrheitlich sie sein, die die Region rund um den neuen Bahnhof in 30 Jahren nutzen. Und empfand man vor 30 Jahren nicht auch ein Loch durch die Koralm als Utopie?
- Campus 2050 – ein Projekt der FH Joanneum und der FH Salzburg
- Das eBook Campus 2050, das Projektverlauf und Visionen der Studierenden dokumentiert, ist kostenlos verfügbar.
- Infowelten Koralmbahn
- In Folge 19 des Lavanttal Podcast erzählt Christiane Schiavinato, Leiterin der Projektleitung Koralmbahn 2 bei den ÖBB, von ihrer Arbeit auf einer der spektakulärsten Baustellen Europas.
1 Stand März 2023
Fotos: Popp, ÖBB, FH Joanneum